STUDIE ZU ERDSYSTEMGRENZEN: LEBENSWEISE DES MENSCHEN GEFäHRDET STABILITäT UND BELASTBARKEIT DES PLANETEN

Wann ist die Erde sicher – und wann ist sie gerecht? Forschende haben dafür nun erstmals Werte definiert: Viele Grenzen für eine sichere Welt sehen sie bereits überschritten.

Der Mensch geht kolossale Risiken für die Zukunft der Zivilisation und alles ein, was auf der Erde lebt. Zu diesem Schluss kommen Forschende in einer Studie, die in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlicht wurde.

Auf einer stabilen und widerstandsfähigen Erde gibt es Rückkopplungen, die Störungen abfedern und dämpfen, heißt es von der Earth Commission, einem internationalen Zusammenschluss von mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ist dieses ausgleichende System nachhaltig gestört, drohen erhebliche Schäden, die in der Studie definiert werden als weit verbreitete, schwerwiegende, existenzielle oder irreversible negative Auswirkungen auf Länder, Gemeinschaften und Einzelpersonen durch Veränderungen des Erdsystems.

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Als Beispiele nennt das Team unter der Leitung von Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung den Verlust von Menschenleben, Lebensgrundlagen oder Einkommen, die Vertreibung von Menschen, den Verlust von Lebensmitteln, Wasser oder Ernährungssicherheit sowie chronische Krankheiten, Verletzungen oder Mangelernährung. Grundlage für die Analyse bilden wissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen Jahre sowie Computermodellierungen.

Drei Aspekte der Gerechtigkeit

Bei der Biodiversität etwa sehen die Studienautoren bereits zwei sichere und gerechte Grenzen überschritten: 50 bis 60 Prozent der Landfläche müssten naturbelassen sein oder nachhaltig bewirtschaftet werden, damit die natürlichen Leistungen der Ökosysteme wie Bestäubung, frisches Wasser und frische Luft erhalten bleiben. Derzeit treffe dies nur auf 45 bis 50 Prozent der Landfläche zu. Und die Forderung, dass 20 bis 25 Prozent jedes Quadratkilometers von weitgehend natürlicher Vegetation bedeckt sein sollte, wird nur auf einem Drittel der vom Menschen beeinflussten Landfläche erfüllt.

Der Ansatz der Forschenden umfasst drei Aspekte der Gerechtigkeit bei der Nutzung globaler Gemeingüter: gegenüber anderen Lebewesen und Ökosystemen, gegenüber den nächsten Generationen und gegenüber den global verteilten Angehörigen der heutigen Generation. »Unsere sicheren und gerechten Grenzen können bei der Zielsetzung Orientierung geben, müssen aber auch durch gerechte Umgestaltungsprozesse verwirklicht werden, die den Menschen ein Mindestmaß an Zugang zu Ressourcen sichern«, sagte Joyeeta Gupta von der Universität Amsterdam, Co-Autorin der Studie.

Erderwärmung um maximal ein Grad wäre gerecht

Zum Tragen kommt das Gerechtigkeitskonzept etwa beim Klimawandel: Während eine Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter von den Wissenschaftlern noch als »sicher« eingestuft wird, sehen sie die Erwärmung um maximal ein Grad als »gerecht« an. Denn schon beim heutigen Stand seien mehrere zehn Millionen Menschen massiv vom Klimawandel betroffen, schreiben die Studienautoren. Diese Zahl werde sich mit jedem Zehntelgrad größerer Erwärmung drastisch erhöhen.

»Mit dem bisherigen Fokus auf globale Mittelwerte, zum Beispiel die globale Mitteltemperatur, werden alle Regionen gleichbehandelt, was aber nicht der Fall ist«, erklärte Christian Franzke von der Pusan National University in Südkorea, der selbst nicht an der Analyse beteiligt war. »Diese Studie legt nun den Fokus darauf, dass alle Regionen bewohnbar bleiben sollen, was nur gerecht ist, da die am meisten durch den globalen Klimawandel betroffenen Gebiete am wenigsten zur Klimaerwärmung beigetragen haben.«

Um das Wohlergehen der Menschen zu gewährleisten, ist den Forschern zufolge eine große globale Umgestaltung erforderlich. »Solche Transformationen müssen systemisch in den Bereichen Energie, Ernährung, Stadt und anderen Bereichen erfolgen, sich mit den wirtschaftlichen, technologischen, politischen und anderen Treibern des Wandels des Erdsystems befassen und den Zugang für die Armen durch Reduzierung und Umverteilung des Ressourcenverbrauchs sicherstellen«, so die Studienautoren.

Forscher, die selbst nicht an der Studie beteiligt waren, erkennen die wissenschaftliche Leistung der Studie an: »Generell ist der extrem komplexe Ansatz, diese sehr unterschiedlichen Kategorien und Daten in eine einfache und vergleichbare Skala zu bringen, sehr hilfreich«, sagte Johannes Emmerling vom RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment in Mailand. Die Studie sei »ein Weckruf für die Politik, in wie vielen Bereichen wir riskieren, die Kontrolle über grundlegende Erdsubsysteme – möglicherweise unumkehrbar – zu verlieren«.

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